Menu
Menü
X

Die Orgel – das Instrument des Jahres 2021

Blick auf die Orgel in der Wahlroder Kirche

Die Landesmusikräte in Deutschland habe die „Königin der Instrumente“, die Orgel, zum Instrument des Jahres 2021 gekürt.

Das größte Musikinstrument der Welt ist damit das erste Tasteninstrument, das diese Würdigung erfährt. Seit 2017 sind Orgelmusik und Orgel­bau durch die UNESCO als immaterielles Kulturerbe anerkannt.

Die Orgel spricht alle Sinne an: Man hört die Töne und spürt sie körperlich im Raum; sie kann Gänse­haut erzeugen, die Kehle verengen, die Seele freimachen; das äußere Erscheinungsbild der Orgel (der Prospekt) ist künstlerisch, oft farben­froh mit ­vielen Verzierungen  gestaltet, ein „Augen­schmaus“; man riecht bei unterschiedlichen Witterungen die verschiedenen Materialien, Holz (Eiche, Nadelholz, Obstholz), Zinn, Blei (=Orgel­metall).  Feinde der ­Or­­gel sind Heizungsluft, Schimmel und der Holzwurm.

Im Grunde genommen ist eine Orgel ein Blasinstrument mit mechanischer Windversorgung (ganz ursprünglich im 3. Jahrhundert v. Chr. in Alexandria waren es ein­fache Schilfrohrflöten und der Druck wurde durch eine Wasserpumpe erzeugt.) Erst im späten Mittelalter fanden Orgeln Einzug in die Kirchen und für die dauerhafte Luftzufuhr waren die Balgtreter verantwortlich (Kalkanten). Im Gottesdienst leistete die Orgel dann einen wesentlichen Beitrag in der Liturgie und zur Begleitung des Gemeindegesangs und beim Ein- und Ausgang/Beginn und Endes des Gottesdienstes. Sie ist ein Verkündigungsinstrument zum Lob Gottes – und wird sie mit Einsicht und Rücksicht auf die Sonn- und Festtagetage des Kirchenjahres gespielt, zieht sie die Gottesdienstbesucher in eine andere Sphäre, ins Nachdenken über das Wesentliche des jeweiligen Feiertags (Weihnachten, Karfreitag, Ostern…) und sich selbst. Innerhalb des Kirchen­raumes gibt es verschiedene Orte, an denen eine Orgel ­platziert sein kann. Oft wirken die Organisten deshalb für die Gemeinde nicht sichtbar (in unserem Fall auf der ersten Etage, nicht sichtbar von unten).

Unsere Orgel ist eher eine zierliche Königin mit ihren sieben ­Registern auf einem Manual und ­Pedal. Aber sie hat Charme, Flair und Seele. Der zeittypische Klang des 19. Jahrhunderts passt bestens in das warme Ambiente unserer ­Kirche aus dem Jahre 1852.

1866 wurde die Anschaffung einer Orgel in Gemeindeversammlungen in Wahlrod, Berod und Borod einstimmig mit vielen Unterschriften beschlossen. In ­Borod stimmten sogar zwei „Katolicken“ zu und vollzogen ihre Unterschrift vor Ortsbürgermeister Vohl (siehe ­folgende Abbildung).

 

Nachdem eine zweimalige Bewerbung von Orgelbauer Buderus nicht berücksichtigt wurde, bekam Orgel­bauer Raßmann 1867 den Auftrag, die Orgel für 800 ­Gulden zu ­liefern (1 Gulden entspricht nach heutiger Währung 10  Euro).

Im 1. Weltkrieg 1917 mussten die beschlagnahmten Prospektpfeifen aus Zinn für militärische Zwecke abgegeben werden. Erst 1988 wurden bei der grundlegenden Renovierung der Orgel die Prospektpfeifen von der ­Firma Hardt aus­getauscht. Die neuen Pfeifen bestehen zu 70% aus Zinn. Die Kosten betrugen damals 7.000 DM. Das mechanische Gebläse wurde später durch ein elektrisches ersetzt, somit waren die Balgtreter nicht mehr erforderlich. Es gab sogar fest eingesetzte Balgtreter, die entlohnt wurden. So erhielt zum Beispiel Wilhelm Schneider, der in der Hohl wohnte, im heutigen Haus Hohlweg 1 in Wahlrod, 1885 ein Jahresgehalt von 17 Mark. Bis 1900 erhöhte sich der Betrag auf 30 Mark, in der Inflationszeit stieg er zum 1. Januar 1923 auf 10.000 Mark. In den 50er-Jahren waren die Brüder Friedhelm und Werner Weyer, die auf dem Hof in Wahlrod wohnten, tätig. Hel­mut ­Velten erfüllte den Dienst bis zum Einsatz des elektrischen Gebläses 1961. Oftmals wurden auch Konfirmanden als Balgtreter eingesetzt. Diese ließen der Orgel öfter einmal „die Luft ausgehen“, was den Organisten nicht erfreute. Mit diesen Streichen war nach Einbau des elektrischen Gebläses Schluss.

Ab 1847/48 waren die Organisten üblicherweise die Dorfschullehrer, da sie meist ein Instrument spielten und auch gleichzeitig als Vorsänger fungierten. Der erste Organist, der bei den Recherchen ausfindig gemacht werden konnte, war 1848 Dorfschullehrer Ludwig Simon aus Schmidthahn. Sein Nachfolger wurde Lehrer Christian Krombach, der wahrscheinlich auch der erste Organist war, der die neu eingebaute Orgel zum Klingen brachte.

1912–1965 Organist: Lehrer Karl Meyer aus Wahlrod, Unterstützung hatte er gelegentlich durch Vertreter Lehrer Henrich und 1950 durch Willi Grün.

1965–1985 Organist: Helmut Velten aus Wahlrod

Seit 1985: Gretel Rickes aus Wahlrod (die erste Frau auf der Orgelbank), seit Januar 2003 mit ­halber Stelle.

Seit 1. Januar 2003 Margit Limpert aus Berod mit halber Stelle.

1988 wurde eine umfassende Renovierung der Orgel notwendig. Die Königin der Instrumente zu „verjüngen“ kostete natürlich einen „königlichen“ Preis. Die Kosten von ca. 50.000 DM konnten zu einem großen Teil durch Spenden auf­gebracht werden. So führten die Kirchen­vorsteher eine Haussammlung durch, die 19.000 DM erbrachte. Einigkeit und großes En­gage­ment bewiesen alle Vereine und Gruppen der Kirchengemeinde. Die Wahlroder Dorfgemeinschaft lud zu einem karnevalistischen Abend ein, der einen Erlös von 5.000 DM erbrachte. Auch Banken und Firmen der näheren Umgebung erhöhten das Spendenaufkommen, so dass 30.000 DM zusammenkamen. Die restlichen 20.000 DM bezuschusste die Kirchenleitung.

2017 wurde vor der Innenrenovierung unserer Kirche von der ­Firma Hardt aus Möttau, die uns seit Jahrzehnten gut betreut, ein großer Teil der Orgel abgebaut. Das Untergehäuse wurde sorgfältig eingehaust, aber alle Pedale, die Prospektpfeifen und der gesamte Pfeifenwald zogen aus und wurden vorübergehend staubfrei und trocken im Pfarrhaus zwischengelagert. Nach Fertigstellung der Innenrenovierung ging es zurück in die Kirche, jede gereinigte Pfeife ­bekam wieder ihren Platz und wurde ­intoniert. Beim Eröff­nungs­got­tes­dienst im Juni 2018 brachte ­Dekanatskantor Jens Schawaller unsere Orgel strahlend zum Klingen.

 

Die „Königin der Instrumente“… so nennt Michael Praetorius sie 1619 in der Anleitung zum Orgelbau – einem sehr anspruchsvollen Handwerk. Der Spieltisch ist der ­Arbeitsplatz des Organisten/der Organistin, von hier aus werden alle Funktionen der Orgel bedient. Eine Orgel hat verschiedene Werke ­(Abteilungen). Unser Spieltisch hat nur eine Klaviatur, Anordnung von Tasten in einer Reihe, für die Hände = Manual, aber es kann bis zu sieben geben. Die Tasten des ­Pedals werden mit den Füßen gespielt. Rechts oder links oder über dem/den ­Manual/en befinden sich die Registerzüge (es können auch Knöpfe und Schalter sein). Ein ­Register ist eine Reihe von Pfeifen gleicher Bau- Und Klangart. Je nach Register ahmt die Orgel andere Instrumente nach (Flöte, Blechinstrumente, Gambe…). Manche Or­gel­pfeifen haben oben einen kleinen Deckel (Gedackt). Die Länge der Pfeifen wird in Fuß angegeben. Im Innern der Orgel verbirgt sich eine komplizierte ­Mechanik.

Viele der im Beitrag genannten Informationen konnten wir der von Bernd Rickes für unsere ­Kirchen­gemeinde erstellten Chronik ­entnehmen. Seit 2015 war Bernd ­Rickes als Chronist für unsere Kirchengemeinde tätig. Am ­31. ­Dezember 2020 beendete er seine ehren­amtliche Tätigkeit und gab coronabedingt still und leise viele Ordner (siehe Foto) ins ­Gemeinde-Archiv in Berod ab. 

Gretel Rickes, Margit Limpert


top